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„Der Tag ist hell…“

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[kommentiert]: Katharina Trittel zum 25-jährigen Todestag von Alfred Herrhausen.

Vor 25 Jahren, am 30. November 1989, starb Alfred Herrhausen im Wrack seines Autos. Eine panzerbrechende Hohlladungsmine hatte den Wagen zertrümmert, Herrhausen verblutete. Verantwortlich gemacht für das Attentat wurde die dritte Generation der RAF, doch unter diesem eiligst aufgeklebten Etikett brodelten alsbald Gerüchte, Verschwörungstheorien wurden gesponnen; die Frage lautete: cui bono?

Bereits Wolfgang Kraushaar[1] hat auf die Schwierigkeit hingewiesen, die RAF zu historisieren. Ja, selbst eine Aktualisierung des Themas falle schwer. Interessanter als die Verschwörungstheorien zu reproduzieren ist indes die Frage: Wen machte man in welchen Zeiten als Schuldigen aus? Gibt es eine Korrelation zwischen einer Gesellschaft, ihrer politischen Kultur und dem Glauben an eine spezifische Erklärungsvariante des Todes von Alfred Herrhausen?

Alle Deutungen der Phantomhaftigkeit der RAF[2] haben ihren Ausgangspunkt Ende der 1980er Jahre – denn bei der sog. dritten Generation jener Jahre handelt es sich um eine Gruppe ohne Gesicht, ohne charismatische Galionsfiguren, wie sie noch die erste Generation vorzuweisen hatte, und ohne eindeutiges politisches Ziel, insofern um eine „unsichtbare Generation“[3] – die doch für einige vorhersehbar war.

Noch bevor es die dritte Generation überhaupt gab, als die Republik sich langsam aus der Schockstarre des Herbstes 1977 zu lösen begann, entwarf Rainer Werner Fassbinder eine filmische Utopie. In seinem satirischen und 1979 in Cannes uraufgeführten Film „Die dritte Generation“ zeigte er eine kleine Gruppe gelangweilter junger Leute, die karnevalesk verkleidet scheinbar wahllos Menschen mordet – dilettantisch, brutal, sinnlos. Unter diesen Terroristen befinden sich unter anderem die Ehefrau eines Bankdirektors, der Sohn eines Polizisten und die Sekretärin eines amerikanischen Computerkonzerns, der seine Sicherheitstechnik nach Deutschland verkaufen will und daher die Terroristen unterstützt. Die RAF als Handlanger der Industrie? Der Gruppe fehlen politische Ideen und gesellschaftliche Utopien. Die Aufforderung ihres Anführers, ein „Fanal zu setzen und ein bedeutendes Bauwerk in die Luft zu jagen“, zieht die irritierte Frage seiner Mitstreiter nach sich: „Was ist ein Fanal?“ Diese Terroristen wissen nicht mehr was, warum und wofür sie es tun. Und auch nicht für wen.

„Ich hatte da neulich einen Traum, da hat das Kapital den Terrorismus erfunden, um den Staat zu zwingen, es besser zu schützen. Komisch, nicht?“ (Alle brechen in schallendes Gelächter aus.) Was bei Fassbinder noch als irrer Witz daherkommt, ist zwanzig Jahre später salonfähig geworden. War Fassbinder seiner Zeit voraus und hatte die Wirkungsmechanismen der Rezeption, die nach den Attentaten der dritten Generation einsetzte, bereits durchschaut?

Jedenfalls: Verschwörungstheorien jeglicher Couleur zum Herrhausen-Attentat haben ungebrochen Konjunktur. Der Glaube, dass die „[S]chlimmsten […] bei uns immer ganz oben in den Führungsetagen der Konzerne [sitzen]“[4], hält nicht nur an, sondern gerät schnell zur universalen Erklärung. Waren die von Fassbinder prognostizierten Terroristen apolitisch, so rücken heute, in einem quasi unpolitischen Politisierungsakt, die üblichen Verdächtigen der Postdemokratie in den Fokus: das Großkapital, Geheimdienste, die Weltverschwörung. Was einst noch als überspannter Bogen schien, ist jetzt fast schon eine ausgelutschte Phrase, verknüpft man heute doch nahezu zeitgleich den Namen Herrhausen mit der RAF und diversen anderen möglichen Verantwortlichen. RAF – das Amalgam einer Verschwörungstheorie?

Zahlreiche Hinweise, dass die Attentäter gar nicht aus RAF-Kreisen stammten, sind der Öffentlichkeit, die nur zu gerne an eine Verschwörung glauben will und heftig mitspekuliert, zugänglich. Herrhausen, der sich für einen Schuldenerlass der Dritten Welt einsetzte und damit unter anderem den USA in die Quere kam, mahnte bereits 1989, Manager müssten mit ihrer Macht verantwortungsvoll umgehen, und wurde nach seinem Tod durch einen Vertreter einer konträren Position ersetzt. Herrhausen, ein Opfer des Großkapitals?[5] Oder, und das zeigt die ganze Verwirrung der Spekulationen, Herrhausen, der besonders clevere und skrupellose Banker, der seinen Konzern durch den geschickten Winkelzug des internationalen Schuldenschnitts an die Spitze katapultieren wollte, wohlwissend, dass die amerikanischen Banken deutlich mehr Forderungen offen hatten als sein Unternehmen?

Immer wieder wird darauf verwiesen, dass die Professionalität der Täter ihrer mangelnden Ausbildung entgegenstehe, dass vor allem aber die Motive der vermeintlichen RAF nicht plausibel seien: Die Bekennerschreiben – früher wichtiges Mittel zur Emotionalisierung und Agitation – seien plakativ und untypisch. „Die technisch und militärischen Profis sind ideologisch und politisch eher schwach munitioniert“[6], es fehle der Wille zur Legitimation der Taten, die entgegen des ursprünglichen Anliegens immer im Sinne einer Systemlegitimierung wirkten, somit dieses System und seinen Rückhalt in der Bevölkerung festigten. Zudem lieferten die Taten einen Vorwand, um den Repressions-, Fahndungs- und Observationsapparat auszubauen. Herrhausen, ein Opfer des Geheimdienstes?[7] Auch das ausgetüftelte Fahndungskonzept 106 griff ins Leere: Herrhausen fuhr einen Mercedes, obwohl es längst besser geschützte Fahrzeuge gab. Herrhausen, ein Opfer der Mercedes-Lobby? Die Ermittlungen geraten zu einer medialen Inszenierung, ein Kronzeuge tritt auf, widerruft, verschwindet. Die Medien heizen die Verschwörungsdebatte an, Herrhausen und seine Familie – Opfer eines öffentlichen Spektakels.

Es scheint ein Kennzeichen dieser Deutungsphase der Ereignisse zu sein, dass die Verantwortlichkeit umso weniger eindeutig wird, je unsichtbarer und diffuser die Bedrohung erscheint. Verschwörungstheorien hingegen bieten ein in sich schlüssiges Gebäude von unmittelbar einleuchtenden Tatmotiven, die aber je nach der Zeit, in der sie entwickelt werden, unterschiedlich sind. War zu Zeiten der ersten Generation der RAF ihr politischer Impetus noch nicht in Zweifel gezogen, wurde gerade dieser der dritten Generation abgesprochen. Machenschaften von Machteliten schienen plausibler als das politische Handeln Einzelner. Da man niemanden zu fassen bekam, der das tradierte Freund-Feind-Schema füllen konnte, vermutete man einen anderen unsichtbaren Schuldigen, einen absoluten Feind. Ein Phantom wurde durch ein anderes ersetzt. Ein Leichtes, sich über Verschwörungstheorien lustig zu machen? In erster Linie „leichtsinnig, denn was da umgeht, ist kein harmloser Unfug. Ihre wachsende Anhängerschar hat sich von Demokratie und öffentlicher Debatte abgewandt: Sie glaubt, alles sei ‚von oben‘ gesteuert.“[8]

Doch unterliegt die Popularität von Verschwörungstheorien Schwankungen. Sie treten vor allem dann auf, wenn sich große Teile der Gesellschaft von außen bedroht fühlen – je anonymer, desto größer die wahrgenommene Gefahr, die aber durch die angebotene Erklärung in ihrer Komplexität reduziert und damit auch bearbeitbar wird. Ist der Glaube an Verschwörungstheorien, die aus dem Misstrauen staatlichen Institutionen und Machteliten gegenüber entspringen, ein typisches Phänomen der Postdemokratie?

Tanja Langers Roman „Der Tag ist hell, ich schreibe dir“ ist als literarische Verarbeitung der jüngste Versuch, gegen die fehlende politische Utopie der vermeintlichen Täter eine intime Utopie um das Opfer zu entspinnen. Das bedeutet nicht nur den Rückzug von einer politischen Sichtweise in eine private, sondern vor allem wird der Blick auf die Betroffenen gerichtet. Das Buch erzählt von der Beziehung zwischen einer jungen Studentin und einem wesentlich älteren Manager, von der „Erinnerung an etwas Heiteres, Helles, so wie du warst, als ich dich kennenlernte“[9], und von der Lücke, die er hinterließ.

Hier kehrt die Suche nach Schuldigen wieder an ihren Ursprung zurück. Und wer immer die Täter gewesen sind, eines waren sie in der Wahrnehmung der Hinterbliebenen bestimmt: Zerstörer privaten Glücks.

Katharina Trittel arbeitet am Göttinger Institut für Demokratieforschung.

[1] Kraushaar, Wolfgang: Zwischen Popkultur, Politik und Zeitgeschichte. Von der Schwierigkeit, die RAF zu historisieren, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 1 (2004), H. 2, URL: http://www.zeithistorische-forschungen.de/2-2004/id%3D4568 [eingesehen am 28.11.2014].

[2] Wisnewski, Gerhard/Landgraeber, Wolfgang/Sieker, Ekkehard: Das RAF-Phantom. Wozu Politik und Wirtschaft Terroristen brauchen, München 1992.

[3] Leyendecker, Hans: RAF-Morde. Die unsichtbare dritte Generation, in: Süddeutsche.de, 02.05.2010, URL: http://www.sueddeutsche.de/politik/raf-morde-die-unsichtbare-dritte-generation-1.344587 [eingesehen am 28.11.2014].

[4] Graf, Dominik: „Die dritte Generation“: Eine Groteske der Spät-RAF, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.09.2008.

[5] Kohl, Paul: „Wir wissen definitiv wer die Täter waren“ – Das Attentat auf Alfred Herrhausen, Rekonstruktion einer Irreführung, Radiobeitrag DLF/SFB/SR/WDR, URL: http://www.deutschlandfunk.de/wir-wissen-definitiv-wer-die-tater-waren-pdf.media.a0dea96bd83a5a81872a1580000e214b.pdf, oder auch von 2013: Wie die RAF den Investmentbanken den Weg frei bombte?, URL: http://www.nachrichtenspiegel.de/2013/02/07/wie-die-raf-den-investmentbanken-den-weg-frei-bombte/. In literarischer Spekulation wurde das auch für ein weiteres RAF-Opfer, Detlev Karsten Rohwedder, vermutet; vgl. Schorlau, Wolfgang: Die blaue Liste, Köln 2005.

[6] Wisnewski u.a., S. 131.

[7] Hier wird immer wieder die Rolle von Geheimdiensten und V-Männern, wie zum Beispiel Peter Urbach, im Zuge der 68er-Bewegung und bei der Entstehung der RAF betont, um diese Deutungsvariante plausibel zu machen.

[8] Randow, Gero v.: Zufall? Niemals, in: Zeit online, 30.10.2014, URL: http://www.zeit.de/2014/45/verschwoerungstheorien-zufall [eingesehen am 28.11.2014].

[9] Langer, Tanja: Der Tag ist hell, ich schreibe dir, München 2013, S. 18.

Der Beitrag „Der Tag ist hell…“ erschien zuerst auf Göttinger Institut für Demokratieforschung.


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